Das Verschwinden Freier Erfinder

An dieser Stelle soll auf ein Phänomen aufmerksam gemacht werden, was alle praktischen Bastler und Tüftler, aber im Grunde die Gesamtgesellschaft angeht. Es ist der Rückgang von Patentanmeldungen in Deutschland. Diese sanken um 4,7%, was den niedrigsten Stand seit einem Jahrzent darstellt (https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/patente-anmeldungen-deutschland-europa-100.html). Mit ürsächlich dürfte hierbei auch der Rückgang an Patentanmeldungen durch freie Erfinder (FE) sein. In der Abbildung unten ist dieser Rückgang grafisch dargestellt (aus Kohlisch. Koppel, Müller (2021): IW Kurzbericht. Freie Patentanmeldungen auf neuem Tiefstand.,https://www.iwkoeln.de/studien/enno-kohlisch-oliver-koppel-patentanmeldungen-auf-neuem-tiefststand.html). Die FE bildeten noch 2010 mit 10,9% eine stabile Säule im Gesamt der Patentanmeldeungen. Wie zu sehen ist, ist inzwischen ein massiver Rückgang an Patentmeldungen um 4,4/%, also gut der Hälfte, zu verzeichnen.

Als Ursachen werden unterschiedliche Faktoren angegeben. Besonders ist es die Verschiebung auf den digitalen Bereich, der ein großes Wachstum erfährt, in Deutschland allerdings keine so große Rolle spiele (nach Rudyk auf 

https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/patente-anmeldungen-deutschland-europa-100.html). Mit dieser Verschiebung hat sich auch der Komplexitätsgrad von Innovationen erhöht, was es für freie Erfinder erschwert, Schritt zu halten. Hierfür spricht, dass in der Elektrotechnik und Pharmazie Erfindungen zunehmend durch größere Forscherteams gemacht werden (https://www.iwkoeln.de/studien/enno-kohlisch-oliver-koppel-patentanmeldungen-auf-neuem-tiefststand.html). Wie im IW-Kurzbericht (ebd.) beschrieben, ist wohl die Hauptursache schlicht, dass sich die öffentliche Hand aus der Förderung freier Erfinder zurückgezogen hat. D.h., die Anmeldung ist bürokratischer und komplizierter geworden (Überlegungen wie Markt, Technik, Kosten usw. müssen erfolgen) und es fehlt freien Erfindern die Finanzierung und Hilfsstrukturen. Der IW-Kurzbericht schreibt:

 

"Bis vor 10 Jahren wurden Beratungs- und Hilfsangebote für freie Erfinder durch BMBF und BMWi gefördert. So wurden ab 1994 in Anlehnung an ein erfolgreiches japanisches Modell bundesweit sogenannte Erfinderclubs für Erfahrungsaustausch und Knowhow-Transfer aufgebaut, die Förderung 2011 jedoch eingestellt. Ein niederschwelliges Programm zur Erstberatung von freien Erfindern („Erfinderfachauskunft“) wurde im Jahr 2004 initiiert, jedoch 2013 ohne Evaluation wieder beendet. Dasselbe Schicksal erlitten Angebote wie der InnovationMarket (beendet 2011) und die Innovationsaktion (beendet 2009). Anders als für Wissenschaft, Unternehmen und Existenzgründer sucht man heute eine technologieoffene Förderung für freie Erfinder in der Förderdatenbank des Bundes (www.foerderdatenbank.de), bei der auch Landesprogramme berücksichtigt werden, vergeblich. Verblieben sind lediglich die Patentinformationszentren sowie die Erfinderberatung durch Patentanwälte, die bei Patentinformationszentren und Kammern originär zum Thema Schutzrechte (Recherche, Er-findungshöhe, Neuheit, Anmeldestrategie) angeboten werden." (https://www.iwkoeln.de/studien/enno-kohlisch-oliver-koppel-patentanmeldungen-auf-neuem-tiefststand.html).

 

Ein Faktor, der hier noch nicht benannt wurde, dürfte der Bologna-Prozess. Sklavisches Lernen nach Stundenplänen mit Lehrbüchern, die Wissen aus zweiter bis dritter Hand anbieten, und eine Professorenschaft, die ihre Stelle durch "Connections" und Checklistenverfahren (Veröffentlichungen wie Fabrikware - check; für Drittmittel gebückt - check; der Heimatuni den Rücken zugekehrt - check; kein Interesse an Lehre - check; Schubladendenken und Fachidiotie - check; kein Kreativitäts- ergo kein Widerspruchspotenzial - check) erhalten haben. Zudem eine Studentenschaft, die schon als Schüler nur Meinungen produzieren, aber nicht Argumente anwenden gelernt hat und die nach Maßgabe des elterlichen Geldbeutels studieren kann oder eben nicht. Dass hier keine Innovation wachsen kann, dürfte evident sein.

 

Man kann es also auch so formulieren: Deutschland hat sich mit der Aufgabe der Förderung extra-institutioneller Forschung eines massiven Potenzials beraubt. Zentralisierung, Bürokratisierung und die ausschließliche Förderung institutioneller Wissenschaft führt dazu, dies zeigt das Beispiel der freien Erfinder sehr eindrücklich, dass auch insgesamt die Innovationskräfte der Gesellschaft geschwächt werden. Im Sinne des wissenschaftlichen Individualismus kann nur das begrifflich-konzeptionelle Vermögen von Individuen wirkliche Kreativität verbürgen. Deshalb stellt die Förderung extra-institutioneller Wissenschaft ein vitales Interesse einer jeden Gesellschaft dar, die noch zukunftsfähig bleiben möchte.